Jasmund (2005–2011)
Mut zur Schönheit – Die Jasmund-Serie von Arno Schidlowski
Es gibt Motive, die so häufig mit der Kamera aufgenommen wurden, dass man sie im wahrsten Sinne des Wortes als abfotografiert bezeichnen kann. Der Eiffelturm gehört dazu, die Insel Le Mont-Saint-Michel. Auch die Kreidefelsen auf Rügen stellen in dieser Hinsicht ein fragwürdiges Sujet dar: Welche Bilder sollte man ihnen noch abgewinnen können, die nicht schon tausendfach existieren? Und das sogar in gemalter Form, man denke nur an Caspar David Friedrichs dort entstandenes, so genanntes Hochzeitsbild „Kreidefelsen auf Rügen“ von 1818, Inbegriff der Romantik.
Trotzdem fallen über den Nationalpark Jasmund tagtäglich Scharen von mit gewaltigem Equipment ausgestatteten Amateur- und Profifotografen her. Für die Haltung, die man ihnen sofort zu unterstellen bereit ist, hat der britische Kunstkritiker John Berger einmal ein treffendes Bild gefunden: Sie entspricht der Modefotografie. „Many nature photographs are like fashion photos. […] Mountaintops, waterfalls, meadows, lakes, bench trees in autumn, are asked to stand there, wearing themselves and giving the camera a moody look.“ , beschreibt er anschaulich die dazugehörige Jagd nach Bildern.1
In den Jahren 2005 bis 2011 befand sich unter den Touristen auch immer wieder der Fotograf Arno Schidlowski, selbst wenn auf seinen Bildern keine fremden Personen oder menschliche Spuren zu sehen sind. Man spürt die Anwesenheit der anderen nicht, vielleicht war Schidlowski aber auch besonders geduldig darin, auf Zeitpunkte zu warten, in denen er nahezu alleine war. Man verspürt im übrigen auch keinerlei Jagdinstinkt, sondern vor allem eine ruhige Haltung des sich auf die landschaftliche Situation Einlassens.
Warum, so kann man dennoch mit einer gewissen Berechtigung fragen, hat er sich dem überhaupt ausgesetzt? Worin bestand die künstlerische Motivation ausgerechnet auf Rügen zu fotografieren? Möchte Schidlowski mit seiner seriellen Anordnung von 35 Farbfotografien auf 51 Seiten den Beweis antreten, dass trotz allem ein anderer Blick, eine unromantische – bezogen auf Caspar David Friedrich – Beziehung zu dieser Landschaft möglich ist?
Offensichtlich ist, dass es Schidlowski in seinen ausschließlich analog gefertigten Fotografien nicht darum geht, von der Ostseelandschaft klischeehafte Abzieh-Bilder herzustellen. Vielmehr scheint sein Anliegen darin zu bestehen, eine bestimmte Modalität des Aufnehmens von Natur zu bezeugen, nämlich seine eigene. Intensiv vermittelt die Folge die Zeitlichkeit ihrer Entstehung, genauso wie jeden einzelnen Moment des Bilder Machens: Die Subjektivität der ihr zugrunde liegenden Naturerlebnisse, die physische Anwesenheit vor Ort treten deutlich hervor.
Rhythmisch kehren in der Mappe bestimmte Motive wieder, ihre Anmutung wechselt: von kalt zu warm, von nah zu fern, von offen zu geschlossen. Die fein austarierte Sequenz arbeitet mit Wiederholungen und Verschiebungen. Statt Eindeutigkeit zu behaupten, umkreist sie Fragen zum Medium Fotografie und ihrem dokumentarischen Charakter, genauso wie zu Schönheit und Naturschönheit. Arno Schidlowski spricht in diesem Zusammenhang von dem Wunsch „universelle Bildinhalte zurück zu gewinnen, die durch die Kommerzialisierung und Profanisierung romantischer Ideen zu Schablonen geworden sind“.
Aber was genau sind romantische Ideen? Bis heute entzieht sich die zweihundert Jahre zurückliegende Epoche, die gleichzeitig den Beginn der Moderne markiert, einer klaren Definition. „Dualität zog sich durch die romantische Bewegung hindurch: changierend zwischen Nähe und Distanz, Essenz und Substanz, Immanenz und Transzendenz“, hieß es zuletzt im Katalog zur Ausstellung Verstand und Gefühl. Landschaft und die zeitgenössische Romantik.2 Konkreter könnte man hinzufügen, ihre Themen waren die Erhabenheit der Natur, später auch deren nationale Vereinahmung, die Suche nach dem Selbst und der eigenen Position im Universum, Gefühle von Sehnsucht und melancholische Düsternis.
Vieles von dieser Haltung lässt sich auch in Schidlowskis Fotografien ausmachen, allein die Vorstellung des Naturerhabenen erscheint ein bisschen weit gegriffen: Eher spiegelt sich in ihnen ein fasziniertes Staunen und die Reflexion des eigenen Tuns. Er schreibt: Vielleicht trage ich im Medium der Fotografie, durch das Wissen um die Bedingungen analoger Fotografie – Es ist so gewesen (R. Barthes) – meine Unterordnung unter den Moment zur Schau. In der Malerei schöpft man aus einem anderen Werkzeugkasten, kann seine Individualität stärker hervorheben.
Überflüssig zu erwähnen, dass auch der durch die Romantik propagierte Nationalbezug, nicht nur für Schidlowski, sondern für jeden vernünftigen Geist, heute in keiner Weise mehr nachvollziehbar erscheint. Zu den nahe liegenden Dingen hingegen, die unser Verhältnis zu dieser Epoche so schwierig machen – trotz ihrer brüchigen Sinnsuche, die man als sensibler Mensch durchaus teilen kann – gehört der Kitsch. Tausende von Sonnenuntergängen, die Liebe suggerieren und darüber zum Konsum von Wohlgefühlen anregen sollen, haben unsere ästhetische Beziehung zur Natur verdorben. Bisweilen löst ihre Schönheit sogar latentes Unbehagen aus, so dass man sich gewaltsam ins Gedächtnis rufen muss, dass Natur nicht kitschig sein kann – nur unser Blick auf sie.3
Vor diesem Hintergrund lässt sich Schidlowskis Jasmund-Serie als Versuch beschreiben, mit den im weitesten Sinne kommerziellen Spätfolgen der romantischen Weltsicht zu brechen, auch wenn seine Position als Autor durchaus romantische Züge aufweist: Das Wasser der Ostsee, mal schmutzig-grün, mal zu rund abgeschliffenen Eisschollen geronnen, dient ihm nicht als verführerisches Bildmotiv, sondern als ein vielgesichtiges, launisches Gegenüber, das sich in einem Moment jegliche Tiefe verweigert, nur um sich im nächsten als unheimlicher Abgrund aufzutun.
Das gleiche gilt für den Wald. Einige von Schidlowskis Baumgruppen wirken fast grafisch, klar wie eine Zeichnung oder Radierung, andere düster und geheimnisvoll. Häufig handelt es sich um Nahaufnahmen, aus denen die Position des Fotografen nicht ersichtlich wird. Auch die aus größerer Distanz aufgenommenen Bilder verfügen über keinen ausgeprägten Fluchtpunkt, nirgendwo findet man die Weite der Landschaft theatralisch ins Bild gesetzt. In einer Aufnahme spielt der Künstler mit der Idee der Rahmung, an die Stelle romantisch gezackter Felsen treten hier jedoch rechts und links zwei brüskierend gerade Baumstämme.
Schidlowskis eigentliche Protagonistin jedoch ist das Licht. Darauf verweist nicht nur die Bandbreite von grundverschiedenen Sonnen und überbelichteten Ansichten, sondern das bisweilen ans Surreale grenzende Farbspektrum der Fotografien überhaupt. Selbst dort, wo das Licht artifiziell und ungewöhnlich expressiv erscheint, beruht es auf analoger Fotografie.
Die Aufnahmen verfügen demnach über eine gewisse „Beweiskraft“ und vermitteln gleichzeitig eindrucksvoll die Subjektivität von Seherfahrungen – das ist das Erstaunliche und darin liegt schon fast so etwas wie ein Erkenntnisgewinn.
Neben subtilen Irritationen – innerhalb der einzelnen Bildmotive, genauso wie ihre Anordnung betreffend – trifft man etwa in der Mitte der Folge auf die Gegenüberstellung von zwei Meeransichten, eine mit giftgrünem, die andere mit türkisblauem Wasser. Allein aufgrund der grellen, leuchtenden Farbigkeit drängt sich hier die Vorstellung von einem Höhepunkt auf. Fast macht es den Eindruck, als habe Schidlowski uns bewusst und behutsam auf diesen Moment vorbereitet; als habe er mit dem dialektischen Ablauf der Serie unsere Kitsch-Verklemmungen systematisch, fast therapeutisch gelöst, um Offenheit für diese Bilder zu erzeugen. Denn spätestens danach sind wir zu allem bereit: Empathie, Melancholie, Philosophie.
Britta Peters
1 John Berger: Hold Everything Dear. Dispatches on Survival and Resistance, Pantheon
Books, New York 2007, S. 141
2 Rebecca Partridge: „Einführung“, in: Verstand und Gefühl. Landschaft und die zeitgenössische Romantik, Ausstellungskatalog, hrsg. von Site23, London in Zusammenarbeit mit Kunstverein Springhornhof e.V., Berlin 2013, S. 7.
3 Auch wenn es im Moment den Eindruck macht, als sei die Romantik endgültig verloren, gibt es immer wieder Versuche einer kritischen Auseinandersetzung. So fand unter dem Titel „Unendliche Annäherung. Die Romantik in den Künsten von heute“ zum Beispiel ein groß angelegter Festivalkongress statt, der sich dem rezeptionsgeschichtlichen Rätsel widmete, warum „die Romantik 2.0 alle Subversion eingebüßt hat“. Frankfurter Kunstverein und Museum Wiesbaden, 24. – 26. Mai 2013